Sonja Baukloh-Herzig (Hamburg), Arno Herzig (Hamburg)
1993 wurde die Erika-Simon-Stiftung durch den Rintelner Flachglasfabrikanten Gerhard Simon (1914-2008) gegründet. Stiftungszweck ist die Bewahrung des deutschen Kulturerbes für die deutschen und polnischen Schlesier sowie die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen. Seit 2008 leitet die Witwe Waltraud Simon als 1. Vorsitzende die Stiftung. Zum Vorstand gehören ferner Prof. Dr. Arno Herzig (Hamburg) und Prof. Dr. Wilhelm Ahrens (Bremen). Schirmherr ist der oppelner Erzbischof Prof. Dr. Alfons Nossol.
Zum 20. Jahresjubiläum der Stiftung wurde eine kleine Schrift publiziert, in der die bis dahin geförderten Projekte vorgestellt werden. Aus den ersten 20 Jahren seien hier noch einmal die wichtigsten Fördermaßnahmen aufgeführt.
So hat die Erika-Simon-Stiftung die Schatzkammer im Turm der St. Jakobus-Kirche von Neisse errichtet. Die Ausführung der Infrastruktur des Turmraumes in Glas führte zu einer unnachahmlichen Transparenz für die Ausstellungsstücke. Dies lag dem Glasfabrikanten Gerhard Simon besonders am Herzen. An der Finanzierung dieser Einrichtung waren ebenfalls die Kreissparkasse von Hildesheim und der in Hildesheim ansässige neisser Kultur- und Heimatbund sowie auch ehemalige Neisser beteiligt. Jedes Jahr kommen viele Besucher aus insgesamt 15 Nationen, um diesen Schatz im Turm von St. Jakobus zu besichtigen.
Auf die Erika-Simon-Stiftung geht in Neisse/Nysa auch die Sanierung des dortigen Eichendorff-Denkmals zurück, das in der Nähe des Jerusalem-Friedhofs zu finden ist, auf dem das Ehepaar Joseph und Louise von Eichendorff begraben liegt. Ein Pendant dieses Denkmals errichtete die Stiftung auch vor dem Schloss in Krawan/Kravane (Hultschiner Ländchen), das einst der Familie von Eichendorff gehörte. Zugleich spendete Gerhard Simon die gesamten Werke Eichendorffs in deutscher Sprache der Bibliothek in Oppeln.
Ein Herzensanliegen des Stifters war die Restaurierung der evangelischen Friedenskirche in Jauer/Jawor, die heute zum Weltkulturerbe zählt. Die Kirche wurde 1654-1655 von dem breslauer Festungsbaumeister Albrecht von Saebisch mit einem Fassungsvermögen von 5.000 bis 6.000 Personen unter schwierigen Bedingungen realisiert. Die als Winterkirche dienende Taufkapelle wurde von der Erika-Simon-Stiftung restauriert, ferner der große Altar mit dem Gemälde „Christus auf dem Ölberg“ von 1885 sowie die sechsseitige Kanzel von 1671 mit den Figuren der vier Evangelisten, außerdem Moses und Johannes der Täufer. Weiterhin beteiligte sich die Stiftung an der Finanzierung der Glocken des 1707 (nach der altranstädter Konvention) errichteten Turms. Für die zahlreichen Touristen, die in den letzten Jahren angereist sind, um die Friedenskirche zu besichtigen, gab es keine Infrastruktur, die einen längeren Aufenthalt ermöglichte. Deshalb baute die Erika-Simon-Stiftung mit Hilfe anderer Partner das neben der Kirche stehende Gemeindehaus, das Auguste-Victoria-Haus, um, das ursprünglich 1906 eingeweiht wurde. Damals waren hier das ehemalige Diakonissenhaus und der Kindergarten untergebracht. 1945 wurde das Gemeindehaus enteignet, aber
Anfang der 1990er Jahre der Kirche wieder zurückgegeben, so dass die nötigen Umbauarbeiten durchgeführt werden konnten.
In der katholischen Peter- und Paul-Kirche zu Liegnitz, dem heutigen Dom, existierte ein Glockenspiel aus dem 19. Jahrhundert, das der Tischlermeister Eduard Conrad gestiftet hatte. Dieses Glockenspiel war im zweiten Weltkrieg abgenommen und eingeschmolzen worden. Drei Glocken von dem Probeguss aus dem 19. Jahrhundert existierten allerdings noch. Nach diesem ließ Gerhard Simon das Glockenspiel wieder neu gießen.
Ein weiterer Schwerpunkt des Stiftungsengagements liegt in Hirschberg/Jelenia Góra mit dem heute dazugehörigen Ortsteil Bad Warmbrunn/Cieplice. In der Gnadenkirche finanzierte die Erika-Simon-Stiftung die Sanierung des Altarbildes sowie einen Teil der Emporen Inschriften.
Das Hirschberger Museum (Museum Hirschberger) verdankt der Stiftung die Anschaffung kostbarer Glaspokale aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, die im Hirschberger Tal hergestellt wurden.
In dem heutigen Stadtteil Bad Warmbrunn gibt es neben der katholischen Propsteikirche die evangelische Bethaus Kirche aus dem 18. Jahrhundert, die zunächst aus Fachwerk, aber nach dem siebenjährigen Krieg (1756-1763) 1774/1777 als prächtiger spätbarocker Steinbau ausgeführt wurde. Auf Wunsch der Kirchengemeinde hat die Erika-Simon-Stiftung die vor 1945 im Pfarr-Garten vergrabenen liturgischen Geräte restaurieren lassen. 2005 wurde dann die Orgel erneuert. Trotz notdürftiger Reparaturen des Daches hatte der eindringende Regen Pilz und Fäulnis im Dachstuhl hervorgerufen und die eben erst restaurierte Orgel beschädigt. Es stand also als notwendige und gewaltige Aufgabe die Renovierung von Dach und Dachstuhl wie auch der Fenster an, die ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert stammen. an der Restaurierung beteiligten sich außer der Erika-Simon-Stiftung die deutsch-polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz Görlitz, die Partner Gemeinde Kiel und die Bundesrepublik Deutschland durch den beauftragten für Kultur und Medien, ferner das polnische Kulturministerium sowie das Marschallamt und die Stadt Hirschberg/Jelenia Góra, außerdem das Kirchenamt der Union der evangelischen Kirchen Hannover und die Kirchengemeinde Warmbrunn/Cieplice. Die gemeinsame Anstrengung ermöglichte es, diese Aufgabe zu meistern.
Nicht weit von Hirschberg entfernt liegt im Hirschberger Tal Gerhart Hauptmannes Villa Wiesenstein in Agnetendorf/Jagniątków. Für die dortigen Hauskonzerte hatte Gerhart Hauptmann auf Anraten des Komponisten Eugen D’albert einen Steinwayflügel angeschafft. Dieser Flügel war in dem Sonderzug, mit dem Hauptmannes Leichnam 1946 überführt wurde, in den Westen gekommen. Gerhard Simon hat diesen Flügel von der Familie Hauptmann erworben. Er steht heute als Leihgabe der Erika-Simon-Stiftung im Haus Schlesien in Heisterbacherrott. Außerdem hat die Stiftung zwei Kopien der Hauptmann Büste von Arno Breker anfertigen lassen. Eine aus Bronze steht im Haus Wiesenstein, die andere Büste aus Marmor steht als Leihgabe im Museum in Jauer/Jawor.
Anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums fand im Mai 2014 vor zahlreichen polnischen und deutschen Gästen in der Friedenskirche in Jauer/Jawor ein Konzert mit dem Dresdner Trompeten-Virtuosen Ludwig Güttler statt. Im gleichen Jahr wurde der Erika-Simon-Stiftung für ihre Verdienste der Förderpreis des Kulturkreises Schlesien des Landes Niedersachsen sowie der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien verliehen.
Das damit verbundene Preisgeld verwendete die Erika-Simon-Stiftung für die Aufarbeitung des deutschen Archiv Bestandes im Kloster Grüssau. Auf Bitten der Äbtissin des Benediktinerinnenklosters beschloss der Vorstand der Erika-Simon-Stiftung den Archivbestand dieses Klosters zusammenzuführen, zu ordnen und durch ein Archivalienverzeichnis der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Während der kommunistischen Herrschaft wurde das Archiv mehrfach geplündert. Die Nonnen hatten deshalb einen Teil des Archivmaterials an mehreren Stellen des Klosters versteckt und die heutigen Nonnen waren nicht mehr in der Lage, die deutschen Texte zu lesen. Die Ordnung des Materials und die Anfertigung des Archivverzeichnisses geschah durch den Magister Rainer Sachs und die Magistra Frau Urszula Ossosko. die Archivbestände enthalten einmal die Gemeindeakten der seit der Säkularisation 1810 eingerichteten Pfarrei Grüssau/krzeszów, zum anderen Bauakten zur Restaurierung der bedeutenden Engler-Orgel als auch historische Baupläne, darunter ein Grundriss des Klosters Grüssau vom jüdischen Architekten Paul (Israel) Ehrlich aus Breslau, der vor seiner Deportation in das KZ im Kloster Grüssau interniert war. Seit 1919 beherbergte das ehemalige Zisterzienserkloster Benediktiner-Mönche des Emmaus Klosters in Prag. Sie engagierten sich in der Liturgiereform der katholischen Kirche. Zeugnisse dieser Reformbewegung befinden sich ebenfalls in dem Archiv. Einer der bekannten Mönche des Konvents war Pater Nikolaus von Lutterotti osb. Auf ihn geht die Abschrift des sogenannten Tagebuches des Zisterzienser-Abtes Bernhard Rosa (Amtszeit 1673-1696), einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Gegenreformation in Schlesien, zurück. Dank dieser Abschrift konnte das Original des Tagebuches, das sich in der Handschriftenabteilung der breslauer Universitätsbibliothek befindet, eindeutig zugeordnet werden. Der Text behandelt die Jahre 1652 bis 1687 und birgt Angaben zu schlesischen Zisterzienser Klöstern sowie zur Gegenreformation in Schlesien. Im Auftrag der Erika-Simon-Stiftung wird der Text von einem Wissenschaftler übersetzt, um ihn für weitere Bearbeitungen zugänglich zu machen. Unter den Varia befindet sich ein kleiner, aber wichtiger Bestand der Jüdinnen und Juden, die vor ihrer Deportation in die KZ im Kloster Grüssau interniert waren. Außerdem gibt es aus dem 17. Jahrhundert eine Anzahl von kleinen Gebetsdruckschriften, die der Verlag Pega in Glatz herausgegeben hatte und die vermutlich an Wallfahrer verkauft wurden. Darüber hinaus enthält das Archiv ein Exemplar der Ekklesiastologie von Johannes Scheffler (Angelus Silesius 1624-1677). Der neu geordnete Bestand umfasst circa 2.000 Faszikel. Die Erika-Simon-Stiftung konnte für eine Mitfinanzierung dieses Projekts die deutsch-polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz (dps) sowie die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (bkM) gewinnen. Die Archivalien sind in zwei Räumen im Kloster untergebracht, die von den Nonnen des Benediktinerinnen Konvents zur Verfügung gestellt wurden und dort auch von ihnen betreut werden, damit Wissenschaftler und interessierte sie nutzen können.
Wie bei dem Grüssau-Projekt, so bemüht sich die Erika-Simon-Stiftung auch bei anderen Projekten, weitere Stiftungen oder Sponsoren für die Finanzierung zu gewinnen. Denn aufgrund der niedrigen Zinssätze ist die jährliche Ausschüttung von Fördergeldern immer weiter zurück gegangen.
Leider sind manche Projekte nicht zu verwirklichen, da das polnische Stiftungsrecht nicht immer mit dem deutschen Stiftungsrecht kompatibel ist. Das deutsche Finanzamt, dem die Abrechnungen der Erika-Simon-Stiftung vorgelegt werden müssen, erkennt Zahlungen an polnische Stiftungen, die von Privatpersonen gegründet wurden, nicht an, da nach polnischem Recht Stiftungsvermögen bei Auflösung der Stiftung privatisiert werden kann. Nach deutschem Recht muss in diesem Fall das Stiftungskapital an eine andere Stiftung übergehen. Aus diesem Grund scheiterte eine Finanzierung, die der Fundacja Gorzanów/Stiftung Grafenort zugutekommen sollte. Die Erika-Simon-Stiftung plante hier, die Restaurierung des sogenannten Holtei-Theaters zu unterstützen, das im Schloss Grafenort in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Grafen Hieronymus von Herberstein betrieben wurde. An diesem Theater wirkte jahrelang der bekannte schlesische Dichter Karl von Holtei (1798-1880) als Dramaturg und Schauspieler. Der Theatersaal aus der Holteizeit war bis nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner ursprünglichen Form erhalten. Inzwischen ist jedoch die alte Renaissance-Decke aus Holz weitgehend zerstört und vernichtet worden.
Solche Schwierigkeiten gibt es nicht bei der Unterstützung von Kirchen Restaurationen. So konnte die Erika-Simon-Stiftung im Verbund mit anderen Stiftungen die umfangreiche Restaurierung der evangelischen Kirche in Bad Warmbrunn/Cieplice weiterhin fördern. Diese Kirche zählt heute zu den Glanzstücken des protestantischen Barocks in Schlesien. Mitfinanziert werden konnte auch die Restaurierung von Orgeln, in der Regel gemeinsam mit dem Verein zur Erforschung und Erhaltung schlesischer Orgeln e.V. (Veeso). So wurde die Orgel in der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Sophienkirche in Carlsruhe os/Pokoj restauriert wie auch die Orgel in der Klosterkirche Grüssau/Krzeszów.
Schlesische Kultur tradiert sich nicht nur in Baudenkmälern, sondern auch in der Literatur und Historiographie. Wenn auch die Erika-Simon-Stiftung keine Stipendien vergibt, so fördert sie doch Einzelprojekte. so z. b. zu Studien über Auschwitz sowie über den schlesischen Schriftsteller Gerhard Pohl. Gefördert wurden ferner Übersetzungen ins Polnische, so die Bücher von Renata Schumann "Das starke Weib" und "Hedwig von Schlesien", desgleichen die "Geschichte Schlesiens" von Arno Herzig. Einen Druckkostenzuschuss gab die Erika-Simon-Stiftung für die Biographie des Breslauer Oberbürgermeisters Otto Wagner von Roland Müller. Forschungsaufenthalte wurden für folgende weitere Projekte mitfinanziert: so z.B. das Projekt von Prof. Anna Mańko- Matysiak über die Korrespondenz des bekannten schlesischen Humanisten und Leibarztes dreier Kaiser Johannes Crato von Krafftheim. Prof. Mańko-Matysiak hat die in der Berliner Staatsbibliothek befindlichen Briefe von Krafftheim entziffert und transkribiert. Es handelt sich dabei weitgehend um Briefe Cratos an seinen Sohn, der das Gut Rückers/Szczytna in der Grafschaft Glatz von seinem Vater (dem Kaiser Rudolf II. das Gut schenkte) übernommen hatte. Eine erste Auswertung dieser Briefe hat Prof. Mańko-Matysiak im letzten Jahrgang dieser Zeitschrift vorgenommen.
Gefördert wurden ferner eine Arbeit über die Oder als Erinnerungsort. Außerdem erhielt die Edition des Briefwechsels zwischen Hoffmann von Fallersleben und seinem Freund Rudolf Müller die finanzielle Unterstützung der Erika-Simon-Stiftung sowie die Publikation der Bände des karolinischen Steuerkatasters 1722-1728 Altkreis Oberglogau, in denen Untertanenverzeichnisse mit Angaben über deren wirtschaftliche Situation sowie Revisionsprotokolle zu deren Liegenschaften, Steuertabellen und Verzeichnisse von Steuerzahlern enthalten sind. Darüber hinaus wurde ein juristisches Projekt gefördert, das die polnischen Gesetzesregelungen im Hinblick auf Kirche und Staat mit deutschen Gesetzesregelungen vergleicht. Ein weiteres wichtiges Projekt, das von der Erika-Simon-Stiftung unterstützt wird, ist eine Geschichte von Kreisau und seiner Besitzer, der Grafen von Moltke, die vor allem die Beziehungen Helmuth von Moltkes nach Polen berücksichtigt.
Wichtig im Sinne des Stiftungszwecks sind deutsch-polnische Begegnungen. So förderte die Erika-Simon-Stiftung eine deutsch-polnische Kinderferienwoche auf dem Martinshof in Rothenburg/Lausitz, im heute noch bei Deutschland verbliebenen Teil Schlesiens; ferner die Tagung einer polnischen Studentengruppe aus Breslau in Berlin zum kulturellen Erbe Schlesiens in der deutschen Geschichte.
In den zurückliegenden 25 Jahren konnte die Erika-Simon-Stiftung viel bewegen und erhebliche finanzielle Mittel für den Satzungszweck einsetzen: das gemeinsame kulturelle Erbe bewahren und für eine friedliche gemeinsame Zukunft in Europa sorgen. Sie dankt allen Mitstreitern, die mit Ideen, Engagement und Zuwendungen an diesem Erfolg mitgewirkt haben.
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