Die Erika-Simon-Stiftung bewahrt deutsches Kulturgut östlich der Neiße. Vorsitzende Waltraud Simon lebt in Görlitz.
Von Ines Eifler (Sächsische Zeitung, 24.10.2019)
Görlitz. Das kleine Schild an der Wohnungstür von Waltraud Simon im Görlitzer Norden lässt nicht vermuten, welche Wohltaten für ganz Schlesien sich dahinter verbergen. „Erika-Simon-Stiftung“ steht darauf in geschwungener Schrift. Die 81-jährige Stiftungsvorsitzende ist eine elegante Dame mit Lachfältchen um die gütigen Augen und kunstvoll gestecktem weißen Haar. Sie hat einen ganzen Berg von Büchern, Prospekten, Urkunden und Fotoalben auf ihrem Wohnzimmertisch ausgebreitet, die davon erzählen, was die von ihrem zweiten Mann Gerhard Simon gegründete Stiftung in den vergangenen 25 Jahren alles bewirkt hat. Die Friedenskirche in Jauer (Jawor), seit 2001 Unesco-Weltkulturerbe, ist das wohl beeindruckendste Beispiel dafür. Hier hat die Erika-Simon-Stiftung die Taufkapelle, den großen Altar und die Kanzel saniert. Sie hat sich an der Finanzierung der Glocken und der Umgestaltung des Gemeindehauses beteiligt. Dieses bietet nun Aufenthaltsräume und Toiletten für die Touristen, die zu Tausenden mit Bussen nach Jauer reisen, um die Pracht der Friedenskirche zu bewundern.
„Als ich die Kirche in Jauer wiedersah, war ich ergriffen“, sagt Waltraud Simon. „Und ich war fasziniert, wie unglaublich viel Geld Gerhard Simon mit seiner Stiftung in die Sanierung gesteckt hatte.“ Das war im Jahr 2005. Damals lag der Tod ihres ersten Mannes ein Jahr zurück. Mit ihm war sie einst aus Rothenburg an der Neiße in den Harz gezogen, wo er 1963 Superintendent wurde. 1990, mit seinem Eintritt in den Ruhestand, folgte sie ihm nach Celle, wo er 2004 starb. „Ursprünglich stamme ich aber aus Schlesien“, sagt Waltraud Simon. 1937 wurde sie in Jauer geboren. Das heutige Gemeindehaus ist ein Ort ihrer ersten Erinnerungen, hier ging sie in den Kindergarten. 1946 wurde sie mit ihrer Familie aus Jauer vertrieben und kam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester zu ihrer Großmutter nach Rothenburg, wo sie bis zu ihrer ersten Heirat lebte. „Doch seit unserer Flucht aus Jauer hatte ich immer großes Heimweh“, sagt Waltraud Simon.
In Gerhard Simon traf sie 2005 einen Menschen, dessen Engagement für den Erhalt des deutschen Kulturgutes in Schlesien und die Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen sie überzeugte. „Er war ein genauso glühender Schlesier wie ich“, erzählt sie. „Als er begann, mir ganz Schlesien zu zeigen, freundeten wir uns an und heirateten.“ Gerhard Simon war 1914 in Görbersdorf (Sokolowsko) im Kreis Waldenburg geboren und nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden. 1947 hatte der gelernte Müller und Kaufmann in Rinteln an der Weser seine Firma „Schlesische Glashütte & Glasschleiferei“ gegründet, die in den 1960er Jahren als eine der ersten Glasfabriken maschinell Fenster-Isolierglas herstellte. Der erfolgreiche Unternehmer verkaufte im Ruhestand seine Firma und gründete aus dem Erlös die Erika-Simon-Stiftung. Deren Vermögen erbringt Zinsen, früher mehr als heute, die im polnischen Schlesien verwendet werden.
Der Name der Stiftung geht auf Simons erste Frau zurück, die bereits im Alter von 60 Jahren starb. „Er wollte damit an sie erinnern“, sagt Waltraud Simon und lässt gleich wieder ihre Lachfältchen spielen: „Jetzt sprechen mich manche Leute mit Erika an.“ Sie führte das Werk ihres Mannes fort, nachdem er 2008 im Alter von 94 Jahren starb, und verwaltet nun unter der Schirmherrschaft von Erzbischof Alfons Nossol von Oppeln gemeinsam mit den Professoren Arno Herzig und Wilhelm Ahrens einen großen Schatz aus vollendeten und laufenden Vorhaben. In ganz Schlesien, ob in Lauban (Luban), Liegnitz (Legnica), Hirschberg (Jelenia Gora) oder Neisse (Nysa), bis in die entferntesten Ecken Nieder- und Oberschlesiens hinein, hat die Stiftung seit ihrer Gründung 1993 gemeinsam mit anderen Unterstützern ermöglicht, Kulturgut zu bewahren. Etwa mit dem Bau der Schatzkammer im Glockenturm der St.-Jakobus-Kirche in Neisse. Dort sind seit 2005 wertvolle Messgeräte ausgestellt, die 1945 in Kirche und Pfarrhaus eingemauert wurden und in den 1950ern, teils erst 2003 durch Hinweise von einstigen Beobachtern wieder auftauchten. In Lubowitz (Lubowice) half die Stiftung, die nach dem Krieg ruinierte Eichendorff-Mühle wieder aufzubauen.
Für die Liegnitzer Kathedrale ließ Gerhard Simon ein im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzenes Glockenspiel neu gießen, das nun immer fünf Minuten vor der vollen Stunden läutet. In der Gnadenkirche von Bad Warmbrunn unterstützte die Stiftung die Restaurierung liturgischer Geräte und die umfangreiche Erneuerung von Dach und Fenstern. Gerhart Hauptmanns Steinwayflügel aus Haus Wiesenstein in Agnetendorf (Jagniatkow) erwarb die Stiftung. Der Flügel war nach dem Tod des Dichters 1946 zusammen mit seinem Sarg gen Westen transportiert worden. Jetzt steht er als Leihgabe im Haus Schlesien in Königswinter. Für Haus Wiesenstein und das Museum in Jauer hat die Stiftung zwei Kopien der Hauptmannbüste des umstrittenen Bildhauers Arno Breker anfertigen lassen. Und noch in vielen Orten mehr in Schlesien hat die Stiftung Gutes getan. Dafür wurde ihr 2014 der 38. Kulturpreis Schlesien verliehen. Am Reformationstag feiert sie ihren 25. Jahrestag.
Dass Waltraud Simon nach Görlitz zog, ist beinahe Zufall. Im vergangenen Jahr feierte sie ihren 80. Geburtstag in Wernersdorf (Pakoszów). „Es sollte das schönste Fest meines Lebens werden“, sagt sie. „Mit allen Kindern, Enkeln und meinen neun Urenkeln.“ Sie traute sich zu, mit den Kindern Fußball zu spielen, stürzte aber, brach sich mehrere Knochen und kam in Görlitz ins Krankenhaus. In ihr großes, schönes, aber etwas abseits gelegenes Haus in Rinteln konnte sie nicht zurück. So entschloss sie sich, in Görlitz zu bleiben. Nun organisiert sie von ihrem kleinen Wohnzimmer aus die großen Vorhaben der Stiftung. Manchmal vermisst sie ihr Haus in Rinteln. „Aber in Görlitz zu leben, hat auch sein Gutes“, sagt Waltraud Simon. „Hier bin ich so nah dran an Schlesien, wie es nur geht.“
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